Merken

Sechs Minuten statt halbe Stunde

Das letzte Stück der Autobahn von Dresden nach Prag wird fertig. Die SZ hat die Strecke getestet. Ein Fahrbericht.

Teilen
Folgen
© Egbert Kamprath

Von Steffen Neumann, SZ-Korrespondent in Usti nad Labem

Kurz hinter dem tschechischen Lovosice fahre ich vorbei an zwei Absperrbaken der Autobahn Prag–Dresden. Alle anderen müssen jetzt weiter die alte E55 durchs Böhmische Mittelgebirge schleichen und dürfen erst nach einem Umweg fast bis Teplice wieder auf die Autobahn einschwenken. Dabei würden sie mir sicher gern folgen. Zu verlockend liegt die noch gesperrte, aber doch schon fertige Autobahn nun vor mir, bereit für eine erste Erkundungsfahrt. In genau einer Woche wird das dann für alle Realität. Dann geht das letzte zwölf Kilometer lange Stück Autobahn endlich in Betrieb, über neun Jahre nach ihrem Baubeginn und fast zehn Jahre, nachdem die Strecke über das Erzgebirge bis Usti nad Labem freigegeben wurde.

Am letzten Teilstück auf der Autobahn nach Prag werden zwischen Usti und Lovosice Leitplanken montiert. Nächsten Samstag soll hier der Verkehr rollen.
Am letzten Teilstück auf der Autobahn nach Prag werden zwischen Usti und Lovosice Leitplanken montiert. Nächsten Samstag soll hier der Verkehr rollen. © Egbert Kamprath

„Hier sind wir schon lange fertig“, kommentiert der Sprecher der tschechischen Autobahnen, Jan Rydl, nachdem er mich in sein Auto eingeladen hat, die ersten Kilometer. Behutsam eingebettet in die Landschaft umrundet die Piste den markanten Doppelgipfel des Lovos Richtung Elbtal. Die Fahrbahn ist markiert, Leitplanken sind gesetzt, der Asphalt summt beruhigend. Zwölf Kilometer – bei gemütlichen 120 Kilometern pro Stunde sind das sechs Minuten Fahrt, wofür ich sonst über eine halbe Stunde brauche, schießt es mir durch den Kopf. Kurz vor der nächsten Brücke dann müssen wir leider abbremsen. Noch wird gearbeitet, auch wenn laut Autobahnsprecher Rydl der Zeitplan sogar übertroffen wurde. „Wir haben ein paar Tage Reserve.“ Arbeiter montieren letzte Leitplanken.

Doch das ist nichts im Vergleich zu dem, was nur wenige Kilometer weiter zu sehen ist. Schwere Maschinen unterhalb der Autobahn rammen Pfeiler 26 Meter tief in die Erde. Inzwischen hat sich die Landschaft verändert. Wir befinden uns hoch über dem Elbtal kurz vor einer Hochbrücke, die an den Hang des steil abfallenden Tals gebaut ist. Porta Bohemica heißt dieser Ort: Böhmische Pforte. Hier durchschneidet die Elbe das Böhmische Mittelgebirge. Ein Hauch von Alpen. So viel Muße werden Autofahrer in Zukunft nicht haben.

Doch was romantisch aussieht, war bis vor Kurzem das umstrittenste Stück Autobahn. Noch vor wenigen Wochen meldeten Medien, dass hier alles abzustürzen droht. „Den Teil, auf dem wir jetzt stehen, mussten wir noch einmal komplett abbaggern: 34 000 Kubikmeter Erdreich. Das haben wir durch leichteres Material ersetzt, um die Belastung auf den Hang zu senken“, sagt Rydl und zeigt auf die frisch asphaltierte und noch nicht markierte Straße. Bereits vor 20 Jahren warnten Geologen davor, hier eine Autobahn zu bauen. Sie führe durch geologisch instabiles Gelände, das zusätzlich durch einen Steinbruch oberhalb der Autobahn gestört ist. Doch die Variante, die Autobahn durch einen langen Tunnel zu legen, wurde als zu aufwendig verworfen. 2013 trat ein, was Geologen befürchtet hatten. Nach tagelangen Regenfällen rutschte der Hang ab und begrub ein Stück fertige Autobahn unter sich. „Das soll und wird sich nie wiederholen“, sagt jetzt Jan Rydl und fügt einen denkwürdigen Satz hinzu: „Eigentlich ist es Glück, dass es zu dem Erdrutsch kam. So konnten wir entsprechend bauen.“

Dabei hatte eher die Autobahndirektion Glück, dass niemand zu Schaden kam. Hätte sie von Beginn an auf die Geologen gehört, wäre die Autobahn wohl nie hier entlang gebaut worden, wäre eher fertig gewesen, aber hätte auch nicht so einen großartigen Blick ins Elbtal geboten.

Jan Rydl zeigt wieder auf die Baumaschine, die unterhalb der Autobahn den Pfeiler ins Erdreich rammt. „Davon pflanzen wir 120 Stück ein, damit der Hang stabilisiert wird. Das dauert noch bis zum Frühjahr, tangiert aber nicht den Straßenverkehr.“ Dann zeigt er blaue Stangen, die in den Hang gesteckt sind. „Das sind Messsonden, die auch nur die kleinste Bewegung im Hang anzeigen. Davon haben wir hier Hunderte verteilt. Einige melden ihre Ergebnisse in Echtzeit, die meisten zweimal die Woche. Wir haben den Hang also unter Kontrolle.“

Wir passieren den ersten Tunnel und stoppen am zweiten: „Hier geht es nächsten Samstag, 10 Uhr, los. Alle sind eingeladen, wir rechnen mit 5 000 Autos“, sagt Rydl. Anfahrt ist über das Kreuz Rehlovice, auf das wir uns nun zubewegen. Punkt elf Uhr am 17. Dezember wird Staatspräsident Milos Zeman das symbolische Band durchschneiden. „Danach wird der Verkehr so schnell wie möglich freigegeben. Es gibt keine feste Zeit, aber sicher nicht vor 18 Uhr“, kündigt Rydl an.

Zurück geht’s schneller. In knapp zehn Minuten sind wir wieder bei Lovosice. In sieben Tagen dürfen das alle.