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Angriff auf die freie Schulwahl

Im sächsischen Schulgesetz-Entwurf entdeckt ein Dresdner Jurist eine Falle für Eltern, die an ihrer Wunschschule abgewiesen werden.

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© dpa

Von Carola Lauterbach

Bringt das neue Schulgesetz die verfassungsrechtlich garantierte freie Schulwahl teilweise zu Fall? „Formell nicht. Aber es schränkt dieses Recht inhaltlich so ein, dass es im Ernstfall dem Bürger nichts mehr bringt“, sagt Benjamin Schulz. So etwas im Gesetzentwurf aus Paragraf 4a, Absatz 4, zweiter Satz, herauszulesen – dazu bedarf es juristischen Sachverstandes. Über den verfügt Herr Schulz. Er ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Dresden.

Als solcher hat er seit 2011 sieben Elternpaare erfolgreich unterstützt, ihre Kinder an der Wunschschule einzuklagen, weil einvernehmliche Lösungen mit der sächsischen Bildungsagentur nicht zustande kamen. In drei Fällen gab es außergerichtliche Einigungen.

Was der Entwurf des neuen Schulgesetzes nun in dieser Hinsicht bereithält, hat ihn also ganz besonders interessiert. Er kommt zu dem Ergebnis, dass es keine wirksame Kontrolle mehr geben wird, dass die Plätze unter den Bewerbern in der Schul-Lotterie rechtmäßig vergeben werden. Und er befürchtet, dass sie von Schulleitern im Einzelfall willkürlich und nach Belieben vergeben werden könnten – und dies dann sogar folgenlos bliebe.

Er habe etwas schlucken müssen, erinnert sich der Anwalt, als er im Gesetzentwurf den beabsichtigten Eingriff, schon ein wenig versteckt, gefunden habe. An einer Schule abgelehnte Schüler werden danach ihr Recht auf Aufnahme an die Wunschschule nicht mehr durchsetzen können, sagt er. Oder ihre Eltern müssten bereit sein für einen Klageweg durch die Instanzen bis zum Verfassungsgerichtshof und über eine Rechtsschutzversicherung verfügen. „Das sollte so nicht sein.“

Höchstgrenze – und Schluss

Immer wieder kommt es insbesondere in den großen Städten dazu, dass es mehr Bewerber für eine bestimmte Schule als Plätze an dieser gibt. In solchen Fällen trifft die Schule eine Auswahl. Das ist für die Abgewiesenen stets ein großes Ärgernis. Schließlich haben sich Eltern und ihre Kinder ja aus einem besonderen Grund genau für diese eine Schule entschieden. Aber auch Schulleiter fühlen sich zumeist nicht wohl in der Rolle des Entscheiders.

Nun hat Schulz in seiner anwaltlichen Tätigkeit Schulen hierbei oft Fehler nachweisen können. Was zur Folge hatte, dass die abgelehnten Schüler – deren Eltern sich dagegen gewehrt hatten – aufgenommen werden mussten, „bis an die Grenze der Funktionsfähigkeit der Schule“. In der Regel hindere es die Schule nicht am Funktionieren, so der Jurist, wenn zwei bis drei Schüler mehr pro Jahrgang zugelassen würden.

Doch genau das solle nun mit einem Federstrich unterbunden werden. Man wolle wohl seitens des Kultus Ruhe in diese Angelegenheit hineinbringen, was er sogar verstehen könne, sagt Benjamin Schulz. Nur verletze das eben das Recht der Eltern. Und das dürfe nicht sein. „Der Anspruch auf Aufnahme in eine bestimmte Schule besteht nicht“, heißt es in besagtem Paragraf 4a, „solange bei Erschöpfung der Aufnahmekapazität der Besuch einer anderen Schule derselben Schulart möglich und dem Schüler zumutbar ist.“

Der Anwalt formuliert das so: „Sind alle Plätze an der Wunschschule vergeben, werden die abgelehnten Schüler keinen Platz mehr bekommen – selbst, wenn das Auswahlverfahren fehlerhaft war.“ Denn, und jetzt geht es sprachlich und juristisch ans Eingemachte: Die Aufnahmekapazität sei nicht erst erschöpft, wenn die Schule – wie eingangs beschrieben – an die Grenze der Funktionsfähigkeit stoße. Sie sei nach der Neuregelung schon dann erschöpft, wenn die Höchstschülerzahl je Klasse mit 28 Schülern erreicht sei. Natürlich liege es auf der Hand, erörtert Benjamin Schulz, dass in solchen Fällen immer die Höchstzahl erreicht sein werde.

Eben weil es ja mehr Bewerber als Plätze gibt. Und eine zumutbare Schule wird es für die abgelehnten Bewerber auch immer geben. Die Orientierung für zumutbare Schulwege laut Landesentwicklungsplan besagt in Sachsen: reine Fahrzeiten, einfache Strecke – für Grundschüler 30 Minuten, für Oberschüler und Gymnasiasten 45 Minuten bis eine Stunde.

Benjamin Schulz hat das Kultusministerium auf dieses Problem auch im Rahmen der Onlinebeteiligung zum Gesetzentwurf aufmerksam gemacht. Er ist nun gespannt, wie damit umgegangen wird. „Ich gehe davon aus“, sagt der Anwalt, „ dass die Abgeordneten des Landtages solch einen Rückschritt nicht zulassen werden.“ Die nach seinen Worten tatsächlich in Sachsen viel weiter gefasste freie Schulwahl als in manch anderem Bundesland sei eine Errungenschaft, die der Gesetzgeber nicht aufs Spiel setzen sollte.