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Aus reiner Neugier?

Im Gimmlitztalprozess schildert der psychiatrische Gutachter, warum der Angeklagte Detlev G. wohl nicht gemordet hat.

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© kairospress

Von Thomas Schade

Dresden. Der forensische Psychiater Andreas Marneros ist 70 und sicher nicht der Jüngste seines Faches. Das Gehör macht ihm etwas zu schaffen. Aber an die stundenlangen Gespräche mit Detlev G. im Oktober 2014 kann er sich gut erinnern. 90 Minuten lang berichtet Marneros am Montag im Dresdner Landgericht, was ihm der Angeklagte über die Ereignisse am 4. November 2013 im Gimmlitztal erzählt hatte.

Am frühen Abend jenes Tages kam Woitek S. im Keller der Pension ums Leben, die der Angeklagte betrieb, wurde zerstückelt und auf dem Grundstück vergraben. In sechs Sitzungen hatte Detlev G. dem Psychiater erzählt, was sich im Keller zugetragen haben soll. Kein anderer durfte dem Angeklagten so weit in die Seele schauen. Nach der Revision des ersten Urteils ist Marneros der erste Zeuge. Er beschreibt den Angeklagten als kooperativ, höflich und konzentriert. Mehrmals seien G. während der Befragung die Tränen gekommen. Drei Dinge habe der Angeklagte klarstellen wollen: dass er niemanden ermordet habe, dass er Woitek S. zerstückelt hat, aber nicht aus sexuellen Motiven, und dass er dem ersten Gericht misstraute und dieses für voreingenommen hielt.

Der Sachverständige schilderte die Internetbekanntschaft der beiden Männer und das Drängen von Woitek S., unbedingt getötet, geschlachtet und verspeist werden zu wollen. All das weiß der Gutachter nur aus den Gesprächen mit dem Angeklagten.

Deutlicher als im ersten Prozess beschreibt Marneros die Ambivalenz im Kopf des Angeklagten. „Schon im Internet hatte bei G. ein Kampf angefangen: Mache ich es, oder mache ich es nicht.“ Im Auto während der Fahrt ins Gimmlitztal und in der Pension sei der Konflikt immer wieder ausgebrochen. G. sei schließlich „weich geworden“, habe sich eingeredet: „Der Tod wäre eine Erlösung.“

Aber bereits im Auto und später in der Pension habe G. seinem Gast verkündet, dass er ihn nicht töten würde. G. habe Woitek S. gesagt: „Wenn du dich umbringst, mache ich den Rest“, so Marneros. Der 59-Jährige hätte akzeptiert, sich für die Strangulation entschieden, das Seil ausgewählt und die Schlinge selbst um seinen Hals gelegt. Dass der Angeklagte Woitek S. versprach, ihn zu zerstückeln und von seinem Fleisch zu essen, habe damit zu tun, dass beide Männer an die Wiedergeburt glaubten. S. wollte beobachten, wie er nach seinem Tod geschlachtet und verspeist würde. Kannibalismus habe G. nie im Sinn gehabt.

Der Angeklagte habe mehrmals versichert, dass er kein sexuelles Motiv gehabt und auch keine sexuelle Lust verspürt habe. Vielmehr habe er aus Neugier gehandelt, so Marneros. „Sein Hauptziel war der Penis.“ Der Angeklagte habe ihm erklärt, dass er den Penis des Toten sezieren und dessen Anatomie studieren wollte. So habe er das Geschlechtsteil des Toten in dünne Scheiben zerschnitten, um die Blutgefäße zu sehen, die den Penis durchziehen. Das Video von der Zerstückelung habe G. gelöscht, weil er beim Ansehen erschrocken war, was er angerichtet hatte.